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Verhaltensstörungen durch falsche Haltung
in Informationen rund ums Kaninchen 18.04.2008 21:35von Silke • 4.473 Beiträge
Verhaltensstörungen durch falsche Haltung
Kaninchen brauchen Artgenossen und ausreichend Platz, um ihr Bedürfnis nach Bewegung und Sozialkontakten auszuleben und ausgeglichen zu sein.
Einzeln und in kleinen Käfigen oder Ställen gehaltene Kaninchen entwickeln häufig Verhaltensauffälligkeiten.
Sie werden aggressiv, greifen die Hand des Besitzers an, knurren, fauchen und kratzen. Auch Gitternagen und Selbstverstümmelungen werden beobachtet.
Bei artgerechter Haltung gibt sich die Verhaltensstörung in manchen Fällen. Ein bissiges Kaninchen ändert sein Verhalten eventuell, wenn es mit einem passenden Partner oder in einer Gruppe in einem geräumigen Gehege leben darf.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Verletzungen an der Psyche des Kaninchens so tief sind, dass eine dauerhafte Schädigung eintritt. Hier liegen sicher auch Misshandlungen durch den Menschen vor. Kaninchen, die als Jungtiere permanent geärgert und herumgeschubst werden, mögen ihr Leben lang eine Aggression gegenüber dem Menschen beibehalten.
Ich habe selbst so ein Kaninchen kennengelernt und einige Zeit betreut: Pitti aus dem Tierheim.
Seine Geschichte möchte ich erzählen als Beispiel dafür, welch großen Schaden der gedankenlose Mensch anrichtet, der sich nicht bemüht, seinem Kaninchen ein artgerechtes Leben zu ermöglichen und es vor Quälerei zu schützen.
Pitti
Pittis Geschichte ist ein abschreckendes Beispiel für die Entwicklung einer Verhaltensstörung durch falsche Haltung.
Der Thüringer Zwergwidder Pitti wurde im Sommer 2005 von einem Mann wortlos in unserem Tierheim abgegeben, zusammen mit einem Meerschweinchen. Er war unkastriert und etwa ein Jahr alt.
Im Tierheim saß er zusammen mit seinem Meerschweinchen, bis dieses vermittelt wurde. Bald schon mochte ihn niemand mehr versorgen, denn er knurrte, biss und kratzte. Niemand wollte ihn haben. Also brachte man ihn zur Kastration und bat meine Tierärztin um Mithilfe bei der Vermittlung.
Zufällig war ich gerade in der Praxis, als Pitti aus der Narkose erwachte.
Da meine Tierärztin wusste, wie meine Kaninchen bei mir leben, fragte sie mich, ob ich Pitti aufnehmen würde. Ich war zuversichtlich, dass ich sein Verhalten mit viel Geduld, Platz und Kaninchengesellschaft in den Griff bekommen würde, und holte Pitti am nächsten Tag ab. Zum Abschied biss er die Tierärztin noch kräftig in den Arm.
Bei mir zuhause holte er alles an Bewegung nach, was er in seinem Leben bisher versäumt zu haben schien. Er rannte und markierte, war munter, zutraulich und neugierig. Ich war oft bei ihm im Zimmer, beobachtete ihn und konnte ihn auch streicheln, wenn er sich erschöpft ausruhte.
Als mein Mann ins Zimmer kam, rannte Pitti auf ihn zu, sprang an seinem Bein hoch und verbiss sich ins Hosenbein. Mein Mann blieb völlig cool, obwohl wir beide so etwas noch nie erlebt hatten.
Pitti musste seine Quarantäne absitzen, und da er nicht allein bleiben sollte, setzte ich ihn zu meinen Meerschweinchen. Ich war mit Handschuhen bewaffnet und auf das Schlimmste gefasst, aber Pitti verhielt sich den Meeris gegenüber völlig neutral. Keine Spur von Aggression.
Als Pittis Kastrationsquarantäne um war, holte ich zwei junge Weibchen aus Niedersachsen, die Fundtiere Lissi und Bonni, die Pitti Gesellschaft leisten sollten.
Da Pitti sich Menschen gegenüber nach wie vor sehr aggressiv verhielt, war ich weiterhin vorsichtig und beobachtete auch diese weitere Zusammenführung sehr genau. Pitti berammelte seine neuen Weibchen und verhielt sich schnell sehr liebevoll ihnen gegenüber.
Menschen gegenüber blieb Pitti leider weiterhin unberechenbar.
Ab und zu hängte er sich ohne Vorwarnung an meinen Ärmel. Besonders aggressiv reagierte er auf Männer und Kinder. Meinem Sohn erlaubte ich nicht, das Gehege zu betreten. Mein Mann versuchte es mehrfach, Pittis Vertrauen zu gewinnen - erfolglos. Ein Freund meines Sohnes traute sich ins Gehege, mit hohen Gummistiefeln. Ich hatte ihn gewarnt, aber er glaubte mir nicht. Pitti sprang sofort an ihm hoch und hängte sich oberhalb der Gummistiefel ans Hosenbein. Durch die Jeans biss er in die Haut. Der Junge blieb ruhig.
Trotzdem konnte ich Pitti auf den Arm nehmen oder mit ihm zum Tierarzt fahren. Er ließ sich gut ablenken und musste dann fest und sicher gehalten werden. In die Transportbox sprang er von alleine.
Das Zusammenleben mit Pitti war sehr anstrengend, weil man sich nie entspannt in seiner Gegenwart bewegen konnte. Er kam immer sofort knurrend angesprungen. Manchmal biss er, manchmal nicht. Nach etwa einem halben Jahr suchte ich ein neues Zuhause für ihn.
Eine Frau aus dem Frankfurter Raum interessierte sich für Pitti, kam bis zu uns nach Schleswig-Holstein gefahren, wohnte ein Wochenende bei uns und beobachtete Pitti sehr genau. Sie ließ sich auch von ihm beißen, um sein Verhalten einschätzen zu können. Pitti griff sie an wie eine Furie, kämpfte mit ihrem Handschuh und verbiss sich in ihrem Ärmel. Sie blieb entspannt und fand Pitti klasse. Als sie am Sonntag wieder fuhr, nahm sie Pitti mit.
Er wurde zuerst mit einem Widderweibchen vergesellschaftet; völlig problemlos. Später wurde er zusammen mit seiner Freundin in eine große Gruppe integriert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten rauften sich alle zusammen. Ich bekam viele Fotos und freue mich, dass Pitti so ein schönes endgültiges Zuhause gefunden hat. In seinem neuen Zuhause leben keine Kinder, und er darf einfach nur Kaninchen sein.
Nie werden wir erfahren, was Pitti in seinem ersten Lebensjahr erleben und erleiden musste. Bekannt ist nur, dass die Familie Kinder hatte, und dass er mit seinem Meeri zusammen in einem kleinen Zimmerkäfig saß.
Diese Geschichte soll euch zeigen, dass ein Kaninchen durch falsche Haltung und Misshandlung wirklich dauerhaft verhaltensgestört sein kann, aber dennoch ein lebenswertes Leben in einem verständnisvollen Zuhause und in Gemeinschaft mit Artgenossen genießen kann.
Danke, Pitti, dass ich durch dich diese Erfahrung machen durfte.
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